Tageblock – Reiseberichte Texas



 



Tageblock – Reiseberichte Texas


Part 1 – Texdave – 24.04.09

„Where did you tie the horses?” Christian grinst, das Mobiltelefon am Ohr, wir stehen vor der Eingangshalle des Flughafens, vor uns ein Kreisel mit fahrenden Autos und Fahrern darin, die suchend umherblicken. Ich stelle den Koffer ab, lege mit einem erleichterten Atemzug mein Messenger Bag darauf und sehe mich um; wow, mein erster Moment auf amerikanischen Boden. Es ist angenehm warm. Aus der Freisprechanlage höre ich eine in tiefen Frequenzen, ruhig sprechende Stimme; „I'm the one in the big white truck.“, es ist Dave, Texdave. „I'll drive another round and pick you up.“ Da kommt auch schon ein weißer Pickup angerollt, wir hieven die Koffer auf die Ladefläche, steigen ein und fahren los. ...



comment    
 

...

„Now it's time for a beer guys ...“, Dave biegt in die Einfahrt der ersten Tankstelle, wir spazieren rein. Er hält ein Sixpack in der Rechten. Christian fragt, ob wir nicht besser ein weiteres für den Abend nehmen sollen. Dave kontert wortkarg – es klingt als würde seine Stimme nur die oberen beiden Saiten eines Fünfsaiter-Bass spielen – „This is just for the drive“ und zieht dabei mit einer Augenbraue die Mundwinkel nach oben, schiebt ein „I've got plenty of 'em in driftwood ...“ hinterher, spuckt einen kurzen, dunklen Strahl in einen schwarz gesprenkelten Pappbecher und öffnet das erste Shiner Bock; texanisches Schwarzbier. „Prost ...", er nimmt einen Schluck, „... it's good to have you here guys.” Dann verschwindet Dave hinter einem großen weißen Eisenschrank und kommt mit 20 kg Eis wieder hervor, die er auf die Ladefläche des Pickups wirft. Wir fahren weiter. Mit dem Kopf an die Scheibe gelehnt beobachte ich die vorbeiziehende Landschaft. Sie ist überraschend grün. Über den Zedern und löchrigen Büschen schweben Raubvögel, vielleicht Aasgeier. Was wird uns in Texas erwarten. Am ehesten eine alte Ranch; staubig und vor allem zweckmäßig, denke ich und versinke in der aufgehenden Weite. Erst als wir abbiegen löst sich der beruhigende Nebel von meinem Gedanken. Über einen leicht bekiesten Erdweg gelangen wir zu einem übergroßen Steinpalast. Dave hält an, ich blicke planlos umher, dann nach Antwort suchend zu Christian. Nichts. Auch dort Verwunderung. In großen starren Augen. Dave legt den Gang ein und meint „I don't even know that people ...“, worauf er einmal im Halbkreis fährt, bis wir vor einem langgezogenen Holzhaus halten. „This is our house guys.“ Ich blicke rüber zur Villa, sehe zwei Steintürme, dazwischen Glashäuser die mit der Architektur der Villa verschmolzen scheinen, ein kleiner Teich, ein Pool, viel Grün und einen Tennisplatz mit Hardcourt-Belag. Wir gehen zum Hintereingang des Steinhauses. Verwirrt folge ich ohne nachzufragen. Im nächsten Moment, Dave wollte soeben die Eingangstür öffnen, kommt eine Frau aus der Tür getreten. Sie stellt sich als Daves Mum vor; freundlich und in unkomplizierter Art bittet sie uns herein. Mir verschlägt es die Sprache, als ich nach zwei Schritten in einem tropisch klimatisierten Glashaus stehe und über eine Wendeltreppe, an verschiedenen Arten von Palmen und Schilfen vorbei, auf eine Holzbrücke gelange. Ich finde mich, knappe zehn Meter über einem mit Steinen verzierten Biotop wieder, neben der Küche und dem Esszimmer, hinter mir ein weiteres Glashaus durch dessen Scheibe eine Mischung von Kakteen zu sehen ist: meterhohe und winzige, welche mit langen Stacheln, borstige, mit rundem Körper oder langgezogenen. Wir gehen hoch und linsen von der runden Plattform auf dem hinteren Turm des Gebäudes auf den Garten. Dave versucht uns die Grundgrenzen zu zeigen und fuchtelt dabei kreuz und quer mit den Händen, so dass alles was ich verstehe mit Garten anfängt und mit 30 Hektar Grund aufhört. Dave kann meine Verwunderung nicht nachvollziehen und schiebt sich unbeeindruckt mit den Fingern etwas Copenhagen Kautabak in die linke Unterlippe. „Let's take a walk guys ...”. Nach wenigen gepflasterten Metern kommen wir in ein durchwachsenes Grün. Einige Stellen sind mit Sträuchern gesät, andere mit grünbraunen Gräsern, dazwischen spärlich Zedern. Christian breitet seine Arme aus und hält sie wie Flügel gegen den Wind. Ich finde einen Streifen schwarze Erde vor mir auf dem noch Überbleibsel der ursprünglichen Vegetation, in Form von Büscheln und aschgrauen Ästen, zu sehen sind. Mit den Händen in der Hosentasche mustere ich, das Gewicht von links nach rechts verlagernd, die verkohlte Ebene, bis mir Dave eine Hand aus der Tasche zieht und in diese einen spitzen Stein drückt; einen besonders harten Stein, der von den Indianern vor Urzeiten zu einer Speerspitze gefertigt wurde. Dave erzählt mir, dass man solche Werkzeuge nach einer Brandrodung häufiger findet, ich freue mich riesig und begutachte die Machart; aus vielen präzisen Schlägen – mit mindestens gleich harten Materialien – ist eine scharfe Schneide geschlagen worden. Ich stecke die Hand mit dem Stein wieder in die Hosentasche zurück und sehe Christian zu, wie er in eine meditative Stimmung abgleitet. Ich lasse mir von Dave seine Arbeit erklären: Bestimmte Landstriche in Texas gedeihen besser, wenn sie von Zeit zu Zeit niedergebrannt werden, dem Nachwuchs wird sonst das Licht und die Nährstoffe von den abgestorbenen Gräsern und Sträuchern entzogen. Die Eindämmung der Waldbrände in Texas ist also der Nährboden für seine Tätigkeit: Es ist nicht einfach ein Stück trockenes Land kontrolliert abzufackeln. Die Richtung und die Stärke des Windes sind entscheidend. Er beginnt mit einem schmalen Brandstreifen, den er mit Sicherheit eindämmen kann. Von dort aus arbeitet er sich Stück für Stück gegen die Windrichtung vor. Mit jedem Streifen kann der nächste größer gezogen werden, die Pufferzone dahinter wächst mit. Wenn das Land zu feucht oder der Wind zu stark ist – dann geht nichts mehr. Nach einer schnellen Dusche im Gästehaus gehen Christian und ich zurück in die Steinvilla, Daves Kumpels und ein herzhaftes Barbecue warten bereits auf uns. „Nice to meet you Zach, good to meet you Kingsley, ... Seth, ... Quincey.“ Beim Aufladen von Wurststücken und Speckscheiben erzählt mir Zach, es gebe in Texas drei Monate – wir sind mittendrin –, in denen die meiste Zeit draußen, am See oder beim Barbecue, verbracht wird. „You absolutely picked the right time, absolutely.“ Die Box, die wir zuvor mit dem Eis und den verschiedenen Bieren gefüllt hatten, haben wir inzwischen ins Palmenhaus getragen; der Weg zum Bier soll kurz bleiben. Seth erzählt beiläufig, dass morgen Franz Ferdinand in Austin – „The live music capital of the world“– spielen. Er kenne die Veranstalter, wenn wir wollen könne er uns einschleusen. Warum auch nicht. Gut gefüllt platzieren wir uns angeheitert um eine kreisrunde, aus weißen Felsbrocken geschlagene Feuerstelle, in der sich bereits ein Büschel Gestrüpp befindet, welches Dave mit dem Grillanzünder zwischen den Beinen und einer Fontäne daraus entfacht. Eine zweieinhalb Meter hohe Stichflamme erhellt die um die Stelle platzierten Sitzsteine. Die Bier-Box (ich nenne sie schon Magix–Box) steht hinter uns. Eine angenehme Stimmung breitet sich aus, ungezwungen und entspannt. Es wird Mitternacht – für Christian und mich bedeutete das umgerechnet 07.00, häufig der Endpunkt einer guten Nacht – und ich bin kurz vorm Einschlafen. Der texanische Wodka und der in Austin gebrannte weiße Rum, den Dave unbemerkt anschleppt, geben mir aber den nötigen Punch für die nächsten Stunden. Später meint Zach „Let's drive out.” und ich finde mich auf der Ladefläche eines kleinen Kawasaki Mule 4x4 stehend wieder. Zach fährt, Dave neben ihm, in einer Hand eine volle Bierflasche, in der anderen ein leere, in die er die Kautabak–Speichelmischung spuckt. Ich halte mich am Überschlagsbügel fest, neben mir Christian und Quincey, Seth hockt hinten auf der Magix–Box, die wir zuvor noch aufgeladen hatten. Mit ordentlichem Zunder krachen wir übers Gelände. Ab und an müssen wir einigen schnell näher kommenden Ästen ausweichen, wir singen, trinken, wir lachen. Und halten schließlich an. Nachdem Zach sich kurz zu Dave beugt und etwas Unverständliches sagt, donnern wir fast senkrecht ins ausgetrocknete Flussbett hinab. Da stoppen wir, steigen ab und lassen uns verstreut auf die weißen Kalksteinplatten fallen, die das Flussbett durchziehen. Ich stecke mir etwas von dem Copenhagener Snuff in die Backe, öffne ein Dos Equis und genieße den Moment. Der Kalkstein fühlt sich warm an und weich, er schimmert hell im Mondschein, so als würde die Nacht ihr Schwarzlicht auf ihn werfen. Nicht viel ist zu hören: Ab und an ein Vogelflattern, ein dumpfes Klacken von Glasflaschen und unsere Stimmen. Das Zirpen der Grillen begleitet die Stimmung wie ein flauschiger Soundteppich. Als die ersten Vögel ihre Lieder anstimmen, lassen wir den Abend zurück auf der Terrasse des Gästehauses mit Johnny Cash und einer American Spirits ausklingen. Genau! Ein anständiges Ende für den Anfang unserer Reise.

... link  

 

Part 2 – Irgendwas geht immer – 25.04.09

„We've done a good job last night.” Dave zieht eine Augenbraue hoch, eine Tasse Kaffee vor dem Mund, „7 people, 66 beer“ – 11 verschiedene Sorten, ein Crashkurs in amerikanischer Bierschule – „and 2 bottles of liquor. Not bad man, not bad ...“. Er nimmt einen Schluck aus der Tasse, gleichmäßig und ruhig, seine Bewegung wirkt wie in Zeitlupe gezogen. Ich gieße mir auch Kaffee ein, schwarz und ohne Zucker, und lasse mich mit den gestrigen Erinnerungsfetzen auf das Rauledersofa gegenüber von Dave sinken. Nach dem Mittagsfrühstück schlagen wir einige Bälle am hauseigenen Tennisplatz. Die Luft ist heiß, der Belag staubtrocken, die Sonne steht steil über uns, wir ziehen die T-Shirts aus. Der giftige Rest der letzten Nacht presst sich durch unsere Poren. Anschließend waschen wir ihn gemeinsam mit den Sünden der letzten Nacht beim Sprung in den kühlen Pool weg. Danach reservieren wir ein Cabrio für die Fahrt auf dem legendären Highway 1 – Big Sur – von San Fransicso nach Los Angeles. Trotz der Einladung von Seth will Dave Karten für das Franz Ferdinand Konzert kaufen, er würde sich sonst schlecht fühlen und meinte: „I’d like to pay for good music …“. Den Abend starten wir mit texanischem Essen bei Tex Mex; es gibt Chile-Cheese Burritos für Dave, einen Lady-Teller für Lady-Killer Christian, Käse-Enchiladas für mich und dazu unsere ersten waschechten, texanischen – hochprozentigen – Margaritas; köstlich und magenfestigend. Dave bestellt schnell seinen zweiten Drink, als ich gerade beim Salzrand des ersten ankomme und entgegnet meinen verwunderten Blick – er ist der Fahrer – mit „Just little ‚Damenspitz’, you know …“. Back on track. Ich zahle mit Kreditkarte und lasse noch ein sattes Trinkgeld liegen, bevor es Richtung Austin geht, zu der Geburtstagsparty von Rebecca. Am Weg dorthin telefoniert Dave mit seiner Freundin Abbey, einige Konversationsfetzen davon wabern zu mir auf den Rücksitz: „Can you get us some beer and some pussies for the Austrian boys?". Ich schmunzele, Christian grinst breit. Am Parkplatz vor dem Clubhaus, in dem die Party sein soll, treffen wir Abbey. Sie begrüßt uns mit einem großen Karton Negra Modelo in ihren Händen, Christian schultert das mexikanische Schwarzbier und folgt uns zum Clubhaus. Dort wartet eine bizarre Atmosphäre auf uns; Rebecca trägt ein weißes Seidenkleid, eins, das sie auch zur Prom-Night anziehen könnte, die Räumlichkeiten sind nobel und unwirtlich, die Gäste zusammengewürfelt, wir underdressed und der Pool im Garten unbenutzt. Am Eingang steht ein üppiges Buffet – das lassen wir wegen dem mexikanischen Essen von vorhin links liegen – selbstgebrautes Canadian Ale in einem 30 Liter Fass und Iced Margaritas zur Auflockerung der Stimmung. Ich unterhalte mich mit einigen Gästen; nett, aber schon das jeweils nächste Glas lässt den Namen des vorigen Gesprächspartners vergessen. Dennoch, neben dem Bier war da noch die andere Sache. Also los, nach Austin, in einen Club, in dem schon Kingsley und eine Freundin von ihr, Ashton, auf uns warten. Die Räumlichkeiten dort sind abgewrackt rotzig, die Musik passend dazu, aus den Boxen kracht Jimmy Eat World. Die schwarzen Wände sind mit roten Linien durchzogenen; die Reminiszenz an die Spuren eines unvergänglichen Emoblutbads. Ich hole eine Runde Margaritas, Wasser für Dave und ein Dos Equis Dunkel für Abbey und setze mich draußen zu den anderen. Ashton hockt neben mir und erzählt von ihren Trips nach Californien; San Diego ist ein Surferspot, der eine hohe Dichte ehemaliger Hippies aufweist, San Francisco ist „foggy and gay“, allerdings eine brillante Stadt zum Leben und Bereisen, Santa Cruz und Santa Barbara muss man als Wellenreiter gesehen haben und L.A: „L.A. just sucks.“ Kapiert. Danke Ashton. Ich mag ihre lockere Art. Um 02.00 („What, they don’t sell alcohol after 2 p.m.?“) verlassen wir den Club und fahren weiter, zuerst auf eine private Afterparty, dann zu Ron. Es ist spät, ich schlafe auf dem Rücksitz ein. Als ich aufwache, hält Dave an einer großen, mit vielen Lichtern staffierten Straße, die von mehrstöckigen Häusern gesäumt ist; aus der Ferne sind Sirenen zu hören. Schlaftrunken folge ich Ashton zum Eingang und sehe dort wie Kingsley in lässiger Manier von Christian über die Treppen hinauf getragen wird. Langsam komme ich wieder zu mir. Dave erzählt, dass Ron ein Winzer mit einem eigenen Anbaugebiet mitten in Texas ist. Wir klingeln, ein Typ mit langen Haaren, einem Bandshirt und einem zufrieden besoffenen Ausdruck im Gesicht öffnet uns, es ist Ron, der Geschäftsmann, den ich mir anders vorgestellt hatte. Wir probieren uns durch seine gesamte Palette an Weißen, meine Gedanken verflüssigen sich und nach und nach versinke ich in einem der beiden roten Samtsessel, die im hinteren Teil des durchgestylten Lofts vor dem Balkon stehen. Ich betrachte die großen Schwarz–Weiß–Gemälde, die an der Holzwand hängen. Auf einem ist ein schwarzer Saxophonspieler abgetragen, auf dem nächsten ein Bluesgitarrist. Mit den anderen Gemälden bilden diese ihr eigenes Ensemble. Auf der Samtcouch mir gegenüber liegt Ron, sein Langhaar-Collie auf ihm. Mein Blick verschwimmt, ich blinzele und sehe Ashton sich über Ron beugen. Vielleicht knutschen sie. Dave sitzt daneben, Abbey schläft schon, am Balkon stehen Kingsley und Christian. Er schnippt einen abgebrochenen Zigarettenfilter über die Straße aufs Dach des Nebengebäudes, dann wird er von Kingsley geküsst. Der Himmel graut, erstes Vogelgezwitscher ist zu hören, wir brechen auf. Wieder schlafe ich auf dem Rücksitz ein. Als ich aufwache, werde ich von Dave vor die Wahl gestellt, wo ich schlafen möchte. Christian und ich bleiben bei Kingsley, Ashton ebenso. Am Nachmittag wache ich auf, der Magen verknotet, der Hals von klebrigem Filz belegt, ich schwanke auf die Terrasse, Ashton reicht mir ein Glas Wasser mit Eis. Ich nehme einen hastigen Schluck und verspüre einen Stich im Kopf; Mist, Eiswasser. Die Sonne beleuchtet den Garten, vor dem Geländer einige Tausend Quadratmeter Grundstück, zwei Hunde kugeln darauf rum. Mit rostiger Stimme murmle ich „This is your garden?“ und bekomme als Antwort „No, it’s my backyard.“ Mit Kingsleys Wagen fahren wir anschließend zu Ashtons Haus und sehen ihr, bis Dave uns aufgabeln kommt, beim Blumengießen zu. Dann verabschieden wir uns und steigen in die sichere Festung, den weißen Pickup, ein. Mein Magen hämmert, Christian lächelt zufrieden, ich breite mich wie ein Stück abgetragenes Leinen auf die Rückbank aus und entspanne. Wortlos kommt mir aus Daves Richtung ein in Alufolie gewickelter, mit Ei und Speck gefüllter Burrito und eine Einliterflasche Gatorade Lemon entgegen. Volltreffer!

... link  

 

Part 3 – Into the wild – 26/27/28.04.09

Don steht neben einem mit selbstgemachten Würsten befüllten Küchengrill, mit dem Ellenbogen auf die Holztheke der Wohnküche abgestützt: „What did you do in Austin?“ Als ich antworten und etwas von Stadtbesichtigung bei Nacht erzählen will, grätscht Dave, seine Hände im Hackfleisch eines selbst geschlachtetes Schweins, dazwischen: „We got real drunk.“ Don schmunzelt wissend und ich glaube in Dave einen Schimmer einer Blaupause von ihm zu erkennen; offenherzig und scheißgelassen, der Humor staubtrocken. Nach dem Frühstück stromere ich auf die Veranda, die wie ein Schutzwall dreiviertel der Ranch umrandet. Beide sind aus Zedernholz gebaut. Das hat den Vorteil resistent gegen Termiten und Verwesung zu sein, allerdings den Nachteil auf Feuer wie Stroh zu reagieren. An der Türschwelle hängt eine mit Zuckerwasser gefüllte, runde Plastikröhre mit blütenähnlichen Trinköffnungen. Ein Kolibri kommt angesurrt und nuckelt in der Luft schwebend aus der Öffnung. Es ist nichts zu hören, bis auf seinen Flügelschlag und das Rauschen der Blätter. Zurück im Zimmer sehe ich, dass Christian wieder eingeschlafen ist. „Recharge batteries ...“, Dave lungert auf der Ledercouch, „... you probably needed a day of rain anyway.” Er lacht trocken. Gelöst lasse ich mich in den daneben stehenden Ohrenbackensessel aus weichem Cordstoff fallen und werfe die Gedanken zurück in die vergangene Nacht. Das Unwetter begann plötzlich. Wir liefen raus ins Stockdunkel, schon wenige Zentimeter vor dem Gesicht waren meine Hände nicht mehr erkennbar, finster, einzig das Wetterleuchten bot einige Augenblicke der Orientierung. Dave und Christian stapften voraus, ich hinterher, die Hände nach vorne gestreckt. Nach einigen Metern ins flackernde Nichts hielten wir an einer Betonfläche an, dem Fundament von Daves künftigen Geräteschuppen. Vor uns eine weite Fläche, die einzig durch eine wuchtige Eiche getrennt war. Es donnerte. Die Zeitabstände in denen der Horizont hell aufleuchtete wurden kürzer, das Firmament glühte, ein Freiluftkino, in dem der Himmel für uns den Donner visualisiert hatte. Es steigerte sich weiter zu einem rastlosen Flackern. Ein Wildschwein rannte grunzend aus einem Busch und ging hinter dem nächsten in Deckung. Christian begab sich in die Horizontale, die Arme wie beim Schneeengel ausgebreitet. Ein Reh querte unseren Blick, dann wieder ein Donner, ein Eisengatter schepperte. Ich überlegte wie das Land vor 100, 500, oder vor 1.000 Jahren geklungen haben musste. Genau so und nicht anders. Kilometer rund um gab es nur unberührte Natur, vielleicht ein Zaun dort, vielleicht ein Erdweg da, aber das änderte nichts. Ich verschmolz in dieser unglaublichen Nacht mit der warmen Oberfläche des Betons und genoss die Vorstellung; das Firmament als Leinwand und das Lichtspiel der Blockbuster. „What’s up dude?“, eine Faust klopft auf meine Schulter, ich zucke kurz, dann sehe ich Christian gutgelaunt und sichtlich erholt hinter mir stehen, „Let’s get it going man.“ Dave schnappt sich zwei Gewehre von der Wandhalterung, wir packen einen Karton Light-Biere in den Pickup und fahren zur Betonfläche. Dort greift Dave eine leere Gatoradeflasche unter dem Rücksitz hervor und stellt diese auf einen in den Boden gerammten Holzstock, „Now it’s time for a short gun lesson guys.“ Er drückt Christian eine Pumpgun in die Hand und deutet ihm sie niemals, egal ob geladen oder nicht, auf eine Person zu halten. Danach lädt Christian Munition, kniet sich nieder, stützt sich mit dem rechten Ellenbogen auf einem wuchtigen Holzpflock ab und zielt auf die in 10 Metern Entfernung stehende Gatoradeflasche. Dave und ich ziehen die Ohrenschützer über. Ein bleischwerer Knall folgt. Ich zucke zusammen. Von der Flasche ist nichts mehr zu sehen. Dann bin ich dran. Dave erklärt auch die zweite Flinte, die Rifle– „Pumpgun for short, Rifle for long distance.“ – und jeder von uns jagt eine Kugel durch einen entleerten Gascontainer; drei glatte Durchschüsse mit schmalem Eintritt und zerberstetem Austritt. Mein Respekt vor Waffen wächst erneut. Ich habe Angst, dass sich Don irgendwo in dem 500 Meter Reichweiteradius befindet. Dave beruhigt mich, indem er mit dem Zeigefinger entgegen der Schussrichtung zeigt und ein „He’s just doing some bird banding up there.“ hinzu schiebt. Wir sammeln die verstreuten Patronenhülsen vom Boden auf und fahren zu Don. Am Weg zu ihm hält Dave plötzlich, blickt zu Christian, deutet auf eine blattreiche Zeder und sagt: „You see these birds, wanna shot `em?“. Christian (großherziger Ex-Zivildiener, der nicht grundlos ein Leben auslöschen möchte) zögert kurz, die Vögel flattern davon. „Man ... next time ... don’t hesitate.“ Dave lächelt listig. Don sitzt bequem auf einem Kunststoffhocker vor einem Klapptisch, auf seinem Schoß einen kleinen weißen Jutesack, einen winzigen Vogel in der Rechten und einen nummerierten Eisenring in der Linken, den er gerade mit einer Spezialzange vorsichtig um ein Bein heftet. Vor ihm steht ein Plastikköfferchen, darin verschiedene Markierungsrollen, eine Wage und kleinere Haltenetze, ein dicker Schmöker, der sich ausschließlich mit der Familie der Sperlinge befasst, liegt daneben. An der Stoßstange des Jeeps baumeln mehrere Jutesäcke, aus jedem kommt ab und an hastiges Geflatter und Gezeter. Ich beobachte Don bei seinem Hobby: Zuerst bestimmt er die Vogelgattung – mit freiem Auge, er hat schon etwa 50.000 Vögel markiert und kennt daher über 200 Arten auf den ersten Blick, auch aus der Ferne. Dann misst er die Flügelspannweite, bläst einmal in das Gefieder, um den Fettanteil zu prüfen und wiegt schließlich den Vogel – er hält gerade einen Rötelsperling mit rostbrauner Kappe, cremeweißer Brust und schwarzer Strichelzeichnung auf den Flanken. Dave notiert die Werte. Don lässt den Piepmatz los, der wartet kurz und zischt dann pfeilartig ins Gelände. Plötzlich spüre ich dicke Tropfen herabrasseln. Wir müssen los, die Fangnetze einklappen. Behutsam befreit Don die restlichen Vögel aus den Auffangtaschen der fein gewebten Netze, die je zwischen zwei Eisenstangen gespannt sind. Wir helfen dabei und verabschieden uns dann, um Wildschweine zu jagen. Der Pickup wird umgerüstet, die Fenster und das Schiebedach öffnen sich, „You’re on a safari now.“ Ich stecke mir eine Zigarette an, ich bin bereit. Wir kommen! Es wird leise im Pickup, ab und an eine Instruktion von Dave. Im Schritttempo rollen wir über den Erdweg. Der Feldstecher eröffnet einen weiten Blick; bucklige Wiesen, felsige Hänge, Bäche und waldgrün getupfte Flächen. Es raschelt, immer wenn ein Ast an die Innenseite des Wagens schlägt. Noch keine Sau in Sicht. Nervenkitzel. An einem steilen Hügel stoppt uns Dave und deutet mit dem Zeigefinger gegen seine angespitzte Lippe. Er geht in die Knie und flüstert: „Let’s sneak down there.“ Ein mannsgroßer Keiler zuckelt auf dem gegenüberliegenden Steilhang in drei bis vierhundert Metern Entfernung. Kein Problem für die Rifle. Wir schleichen vorsichtig näher. Dann wird Dave plötzlich ungewohnt rastlos und fokussiert eine Strauchgruppe, einige Meter vor uns. Es wird hektisch, ich spüre Adrenalin einströmen. „Who wants to take this shot?“ Diesmal kein Zögern von Christian. „I’ll do it.” Darauf pirscht er einige Meter den Hügel nach links, die Rifle vor sich, geht in Halbhocke und zielt. Ich kann nicht sehen, was er fixiert und halte mir vorsichtshalber die Ohren zu. In mir staut sich Aufregung. Christian setzt ab. Schon vorbei? Nein. Er krabbelt rasch nach rechts, stützt seinen Arm am Oberschenkel ab, der Kopf gleitet zum Zielrohr. Es knallt. Ich höre ein lautes Quieken. Undundund? Ich blicke zu Christian. „Did you get it?“ Und dann zu Dave, er scheint aufgekratzt glücklich und strahlt mir ein „Yeah man, he’s got it!“ entgegen. Ich folge ihm wenige Schritte hügelabwärts zu einem Strauch, dahinter ein dunkel behaarter Körper. Das Schwein, es quiekt. Schnell, laut und schmerzverzerrt. Ich drehe mich ab und höre ein „Shoot in the head.“ Dann knallt es erneut. Und ich sehe beim umdrehen die Flinte von Christians Schulter sinken. Nichts rührt sich, nirgendwo, an keinem Ort der Welt. War’s das? Ich laufe näher. Der Körper ist von hinten her aufgeplatzt, der Unterleib quillt raus, im Kopf ein dickes Loch, ein Augapfel hängt lose hinab. Christian wird blass. Doch Dave schaltet sofort, klopft ihm anerkennend auf die Schulter, lächelt zuversichtlich und sagt: „You did a great job to the land man.“ Christians Mundwinkel ziehen sich langsam zusammen und bilden eine Linie. „Now you’re a man, you’ll get lots of pussies back in Austin.” Die Linie auf Christians Gesicht wird zu einem nach oben gebogenen Halbkreis. Und jetzt? Das Schwein einfach liegen lassen? Unmöglich. Oder nicht? Dave packt den Körper am Ohr, lehnt ihn mit dem Kopf voran auf einen Stein, platziert Christian und mich davor, konserviert den Moment mit einem Schnappschuss und latscht schweigend davon. Zurück beim Wagen verstauen wir die Waffen neben den Vordersitzen und fahren runter zum Fluss. Durch den Regen der letzten Nach ist dieser um einige Stufen in die Höhe gewandert. Ich schaue über die großen Kalksteine auf das flussnahe Gebiet. Hier geht alles seinen eigenen Gang. Den Gang der Natur. Nichts nimmt Eingriff, nichts wird verändert. Ich glaube echte Freiheit zu spüren. Der Fluss plätschert gleichmäßig. Dave sitzt auf der mitgebrachten Kühlbox und bindet bunte Schwimmer auf die Angelruten. Hinter mir Christian, der sich gerade auszieht. Ich nehme einen Schluck Bier, eine vertraute Gewissheit umspült mich. Christian läuft an und springt an mir vorbei in die Strömung, die ihn in die Mitte des Gewässers treibt. Es ist angenehm kühl. Die Sonne lässt ihre letzte Kraft hinter unserem Rücken verstreichen. Ich folge dem Glitzern der Wasseroberfläche. Meine Gedanken baumeln in losen Fetzen in der frischen Luft und lösen sich schläfrig im Schatten des Schilfes auf. Vor dem Einschlafen erzählt mir Dave, dass er eine sechsjährige Beziehung hinter sich hat, wir reden über Mädchen, Dave schmunzelt ins Dunkel und meint: „I was a good person before I met Christian.“ Ich warte, aber es kommt keine Antwort, nichts. Christian scheint zu überlegen, dann entgegnet er in ernstem Ton: „I take this as a compliment man, it seems like i did a proper job.“ – „True man, haha.”

Am ersten Morgen in San Francisco setze ich mich mit einer Tasse schwarzen Kaffee und einer Baustelle im Kopf an den Rechner in der Lounge und öffne den Internetexplorer; im Postfach eine Email von Dave:

Amigo, Drive safe over there, from the looks of the weather page you can catch some fish inside your convertible. Stop looking for the black digicam case, I have it actually fits my fathers camera quite nicely. Haven't found anything else y'all left behind except the usual empty beer bottles and the broken hearts of the texas women.

... link  

 

schöner schrieb. liest sich sehr einladend. freu mich schon auf die fortsetzung und die geschichten aus la ;-).

... link  


... comment





 

...90er jahre sentimentalitätsthread
Die >tagedie.be Toolbar:

... als startseite
... zu den favoriten
online seit 8368 tagen
letztes update: 25.01.20, 08:23
status
du bist nicht eingeloggt... login
... zu antville
contribute
... anfang
... themen
public
suche
 

kalender
November 2024
So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.
12
3456789
10111213141516
17181920212223
24252627282930
Januar
neuigkeiten
2020 - Tagediebe sind dabei
von penangdave @ 25.01.20, 08:23
...
Der tagediebe-Blog - die Schallschutzkabine des Internets.
von eckerling @ 10.03.19, 10:38
...
Um die Ruhe zu genießen.
von alibombaye @ 08.03.19, 17:29
...
Gibt es irgendeinen Grund hier zu sein?
von eckerling @ 02.03.19, 14:28
...
schön.
von unitedlovers @ 12.01.19, 07:55
...
via GIPHY
von alibombaye @ 20.07.18, 00:54
fast wie hier
von alibombaye @ 21.04.18, 09:17
nichts wirklich neues, aber doch...
www.theguardian.com
von alibombaye @ 12.04.18, 13:21
starke headline
www.hessenschau.de
von alibombaye @ 06.04.18, 17:14
...
Lol!
von alibombaye @ 06.04.18, 14:59
blogroll
recent








Exklusiv! Die Original Krankl-Urlaubs-Webcam



ganz detailliert...





RSS Feed

Get Firefox!

Keine Zielgruppe




Made with Antville
powered by
Helma Object Publisher Listed on BlogShares

Fight Spam!